Saturday, February 09, 2008

hessische schlachtplatte

eigentlich sollte dies ein live-blog vom wohl spannendsten wahlabend der vergangenen jahre werden, vom spannendst-möglichen ort, nämlich aus dem hessischen landtag. nun, das schale bier der cdu-fraktion und der alles andere als schale wählerwillen haben mich wohl ein wenig demotiviert. dies sei nun korrigiert und nachgeholt! eine fotostrecke aus dem zentrum der macht, naja sagen wir ehrlicher, der geschehnisse:

ring frei am wahlabend: im hessischen landtag zittern die fraktionen gemeinsam vor der macht des wahlvolks.

die vierte macht im staat darf da natürlich nicht fehlen.

im eingangsbereich grüßt schon einer der kombatanten vom big screen.

bei den grünen gab es standesgemäß (?) dinkelcracker und bionade. trotz der hochstimmung nach der ersten wahlprognose von 18:30 uhr ein grund, nicht lange zu verweilen. bei der cdu (foto) ist die stimmung nach der prognose im keller, aber es gibt wenigstens bier. entsprechend groß der andrang, entsprechend groß bei mir aber auch das unwohlsein. viele timberlandschuhe und pomade (bei der ju-fraktion), viele bordeauxfarbene einstecktücher und feiste gesichter (bei der kohl-generation), zuviel gold und rouge (bei den gattinnen egal welcher generation). ich frage mich, wo sich dieser seltsame menschenschlag normalerweise versteckt. auf der straße sieht man die nie.

ein besonderer vertreter der spezies "cdu-anhänger": ob er den deutschlandschal seit der wm jemals abgelegt hat? oder schlimmer: hat er ihn schon vorher getragen? wie auch immer: im cdu-einerlei ist es nicht schwer aufzufallen. das trifft auch auf mich zu und ich spüre die blicke auf mein namensschild, dessen farbe auch die partei-zugehörigkeit, oder zumindest -vorliebe, verrät. ich möchte jetzt am liebsten ein t-shirt, das sagt: "unabhängiger wahl- und primatenforscher!" denn genau darum geht es mir heute abend: eine ganz eigene spezies in ihrem natürlichen habitat zu beobachten. orang utas und pandabären gibt es ja nur noch im zoo.

und da ist sie dann auch: die berüchtigte "hessische schlachtplatte" der cdu. zwei fragen drängen sich mir beim anblick auf:
1) sind die nahrungsvorlieben nicht immer auch ausdruck der geistigen reife? bodenständig-deftig wäre dann noch die netteste beschreibung, die mir zur hessen-cdu einfällt.
2) ob ministerpräsident und finanzminister auch an "hessische schlachtplatte" denken, wenn sie den landeshaushalt aufteilen? ich muss weg hier!

ähnliches gedränge bei der spd. die klientel hier jedoch vollkommen anders: rote accessoirs sind ein muss und wenn's nicht rot ist, muss es ein Y sein (warum ich damit immer nur an y-chromosomen assoziiere, weiss ich nicht). das hemd trägt man gern auch einen knopf zu weit geöffnet, den rock gern eine nummer zu eng. richtig wohl fühle ich mich hier auch nicht. der raum versprüht den"charme" der nahenden macht (jaja, die 18:30-prognose), die menschen kennen nur eine der beiden posen: entweder arroganz (posten im schattenkabinett gesichert) oder anbiederei (für ein pöstchen im bornheimer spd-ortsvorstand muss noch kräftig geschleimt, pardon: genetworkt, werden).

immerhin, auch die noch zweitgrößte fraktion im wiesbadener landtag leistet sich bier und - wie darf es anders sein - rotwein. der ist genauso fade wie die rote haarfarbe mancher genossinnen. dazu gibt's bowu (foto). currywurst ist seit der agenda 2010 wohl nicht mehr so beliebt bei der hessen-spd.

am buffet der spd eine offenbarung: es ist mit dem der cdu identisch! das bringt mich zurück zu den schon bei der schlachtplatte gestellten fragen. die antwort auf die erste ist gleich, schade. die auf die zweite wird man erst dann beantworten können, wenn ypsilanti das scheckbuch namens landeshaushalt in der hand hält.

ich entdecke: hähnchenteile! erleichterung: zumindest hier hebt sich das spd-buffet von der cdu-schlachtplatte ab. wer beklagt noch den profilverlust, die verschwimmenden trennlinien? die hähnchenteile weisen euch den ausweg, liebe volksparteien! flügel-wahlkampf in hessen, auch wenn's nur die von hühnertieren sind...

zurück bei der cdu. einmarsch eines wahlverlierers...

... den "seine" hessen-cdu trotzdem frenetisch feiert. schilder in die luft und "roland, roland"-rufe. ich frage mich ernsthaft, wie man angesichts der realität so einen personenkult aufrecht erhalten kann. auch vor sich selbst? ist das ein übersteigerter loyalitätszwang? das ist doch absurd! fühle mich ein wenig an die letzten tage von erich honecker und seiner sed-clique erinnert.

der verlierer spricht. 20:32, erstaunlich spät. frage mich, was er da wohl so gedacht hat, als er zuvor eine stunde allein in seinem büro in der staatskanzlei sass. zweifel? scham? rücktrittsgedanken? alternative karrierewege bei fraport? was für eine offenbarung und befreiung, wenn er das jetzt einfach mal frei von der hessischen leber weg erzählen würde. sonst ist er ja auch nicht eben von zurückhaltendem schlage.

das klappt nicht mit dem rücktritt. mann, wär' das schön gewesen und ich live dabei! stattdessen: "hetzkampagne gegen den ministerpräsidenten" (ich kann nur noch kopfschütteln, die anderen johlen), "jetzt warten wir erstmal die entgültigen zahlen ab, alles andere wäre unseriös" (um wieviel prozentpunkte soll's denn noch bergab gehen, frage ich) und "ich und meine hessen-cdu, wir waren schon immer kämpfernaturen". die stimmung im raum ist euphorisch, die cdu-ler elektrisiert. von 5 1/2 minuten (souverän vorgetragener) phrasen. wahnsinn, dass das immer noch funktioniert!

im foyer des landtages ist das getränge groß. alle möglichen politpromis wollen vor die kamera, alle möglichen kameras wollen promis. ins ard-wahlstudio darf ich nicht rein, naja, wenn die gez das nächste mal klingelt, lass ich die zur strafe auch nicht rein.

neben der politischen kaste trifft man hier auch auf die medien-welt. die moderatorinnen weisen erschreckende ähnlichkeit mit der stereotypen "karrierefrau" aus einem schlechten 80er jahre-film auf: perfekt gestylt (vielleicht ein klein wenig zu viel) und durchtrainiert, ungefähr 10 espresso zu viel getrunken und zwei mahlzeiten zu wenig gegessen. deshalb: aufgedreht und schlecht gelaunt, dabei aber nicht unkontrolliert (kontrolle ist alles!) und nicht unhöflich (jeder gesprächspartner könnte sich immerhin als zukünftig wichtig entpuppen! wer weiss das heute abend schon?). dabei immer leicht herablassend erscheindend, das strahlt kompetenz aus. und natürlich noch dies: das handy immer am ohr kabelträger anschnautzend und die praktikantin rumschickend. eine halbe stunde beobachte ich eins dieser exemplare: mediale realsatire.

promis bei den grünen: claudia roth erzählt vor laufender kamera einem unbekannten gesprächspartner (vermutlich in berlin lokalisiert), wie leid es ihr doch für "frömmi" tut. 18:30 ist lang vorbei, ebenso das hochgefühl, inzwischen gibt es echte zahlen. die grünen rutschen den 7% entgegen und jürgen frömmrich, noch innenpoltischer sprecher der fraktion, scheint raus zu sein aus eben dieser. und rot-grün war schon so nah.

das wird dann auch langweilig. deshalb gibt's ein wenig schabernack im cdu-flügel.

auch diesem hinweis kann ich nur zustimmen.

unterdessen scheint die cdu schon die räumlichkeiten für andere frei machen zu wollen: abgebaute partei-standarte im fraktionstrakt.

bei der spd ist inzwischen ruhe eingekehrt. was "reale zahlen" so alles bewirken können. angespanntes warten auf das amtliche endergebniss, dass gegen 23:30 kommen soll. trotzdem ist nach diesem abend eins gewiss: andrea hat gewonnen, roland hat verloren. wer zählt da schon die einzelnen prozente?

diese erkenntnis ist nun auch bei der cdu angekommen: an diesem abend bleiben die gläser halbleer. auch wenn man später in der nacht mit 3.500 stimmen vorn liegt.

mich ereilt und überfordert diese nachricht erst zu hause vorm computer. ich bin erschöpft nach diesem ausflug in eine parallelwelt.

geschrieben mit hilfe von stars - in our bedroom after the war

straßen(wahl)kampf, nachtrag

dass man im wahlkampf nicht immer fair sein muss, haben wir ja nun zur genüge gelernt. manchmal verhilft unfairness einem auch zu 3.500 stimmen mehr...

zur ehrenrettung der hessischen genossen, denen ich ja die beschmutzung gegnerischer plakate unterstellte (siehe hier), kann ich dieses bild beitragen:


am wahlabend fand ich dieses verschönerte plakat von turgut yüksel, diplomiertem soziologen und vwl, sowie stadtverordnetem der spd. und ich dachte schon, die genossen hätten sich eine art supersauber-lotus-überzug zugelegt, an dem jegliche beschmutzung schlichtweg abfließt...
dem ist offenbar nicht so und das bringt mich wieder zur ausgangsfrage zurück: wer sind die wahlplakatverschönerer? waren es dieses mal vielleicht doch die schergen der cdu, die im angesicht der drohenden niederlage zu arg verzweifelten taten bereit waren? oder waren es frustrierte ex-genossen, die nun geschützt unter lafontaines fittichen aus dem hinterhalt schießen?

heute, im lustig-bunten koalitionsreigen, will's sicher keiner gewesen sein. nun, skuril war auch der fundort des bulligen turgut yüksel: er hing direkt vorm eingang des heimischen döner-ladens...

geschrieben mit hilfe von eddie vedders - far behind, auch wenn 0.1% nicht wirklich weit weg ist.